Interview mit Max Cooper

Max Cooper sprach live aus London mit uns und Patrick von grobi.tv über sein Album Emergence als ganzheitliches Kunstwerk. Uns hat natürlich besonders Dolby Atmos als immersives Klangkonzept der Wahl interessiert. Hier gibt es den Link zum Stream und danach den Mitschnitt als Video-on-Demand. Für alle die lieber lesen, gibt es die textliche Zusammenfassung des Interviews mit Max Cooper.

Wie kam es zu der Entwicklung von Stereo zu Dolby Atmos? Kannst Du Deine Perspektive als Musiker schildern? Gerade Du hast ja eine interessante Geschichte, da Du als Naturwissenschaftler angefangen hast.

Musik war schon immer Teil meines Lebens, aber ich habe in der Schule immer die Naturwissenschaften verfolgt. Ich ging in die Forschung und Musik war ein Hobby. Irgendwann entdeckte ich die Musikproduktion und wurde richtig süchtig danach. Ich liebte die Möglichkeit, mich selbst auszudrücken, und ich habe viel Arbeit hineingesteckt.
Dann bekam ich meinen Doktortitel und geriet in die Zyklen der postakademischen Finanzierung und dieses Leben war hart. Und bei der Musik gekam ich durch Zufall ein paar Auftritte und veröffentlichte ein paar Sachen und bevor ich mich versah, übernahm die Musik mein Leben. Ich hatte immer diese Liebe zur Natur, zur bildenen Kunst und zu wissenschaftlichen Ideen und irgendwann dachte ich einfach, warum nicht versuchen, diese Dinge zu kombinieren.
Emergence war das erste größere Projekt, das ich auf diese Weise zusammengestellt habe. Ich habe mit dem wissenschaftlichen Konzept der Emergenz angefangen und es in viele Kapitel mit unterschiedlichen Betrachtungsweisen auf dieses Konzept unterteilt.
In Clubs und auf Festivals hat man eine Live-Show, aber je mehr ich daran gearbeitet habe, desto klarer wurde mir, dass das etwas ist was man sich zu Hause anschauen kann. Also haben wir alle Musikvideos gemacht und schließlich dieses Dolby-Atmos-Erlebnis.
Meine Liebe zur visuellen Kunst überträgt sich musikalisch als Liebe zur Räumlichkeit in der Musik. Ich liebe Struktur und Form. Und Räumlichkeit ist eine großartige Möglichkeit, buchstäblich eine Struktur oder eine Form zu präsentieren, die man als Stück oder Skulptur haben kann, auch auf klanglicher Ebene. Und diese Räumlichkeit in auditiver Form erfahren zu können, ist letztlich das was mich zu diesem Punkt in der Musik gebracht hat.

Wie ist die Situation für Sie im Moment aufgrund der Pandemie? Hattest du Zeit für neue Projekte?

Ich habe jetzt seit fast einem Jahr nicht mehr live gespielt, das ist verrückt.
Die Arbeit an dem neuen Album ist fast abgeschlossen. Ich habe mit vielen bildenden Künstlern und Mathematikern gesprochen. Am meisten Spaß macht bei diesen Projekten normalerweise die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Leuten außerhalb meines musikalischen Bereichs.
Ich habe also viel Musik geschrieben und eine Menge Dinge vorbereitet für die Zeit, wenn man wieder Live-Shows spielen kann. Aber ich habe auch ein Projekt mit Rücksicht auf sozialen Abstand zusammengestellt, was in ein paar Monaten in Belgien stattfinden wird. Es haben sich also andere Gelegenheiten ergeben, neue Möglichkeiten, meine Kunst zu präsentieren.

Wann hast Du das erste Mal von Dolby Atmos gehört?

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das erste Mal darauf aufmerksam wurde. Als Kind hatte ich Kassetten mit Dolby drauf, also war es immer in meinem Kopf als Firma. Ich wusste, sie waren die Leute, die High-End-Audio machten. Irgendwann kam es wahrscheinlich durch meinen Manager, er sagte, dass er mit Dolby im Kontakt war und von da an ging es einfach weiter. Ich baute eine sehr gute Beziehung zu den Jungs von Dolby in London und San Francisco auf. Außerdem hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits mit Raumklang experimentiert.
Das erste Raumklangprojekt, das ich je gemacht habe, war mit 4D Sound. Diese Jungs kommen ursprünglich aus Amsterdam, haben aber jetzt ihren Sitz in Budapest. 4D Sound ist ein weiteres objektbasiertes System, bei dem man Sound zu Lautsprechern schickt und dreidimensionale Strukturen aufbaut und diese Strukturen dann gemappt werden. Ich hatte also bereits Erfahrung mit diesem Konzept, ein Musikstück zu nehmen und es sich als physische Struktur vorzustellen und es auf ein objektbasiertes System abzubilden. Dolby Atmos war ein sehr natürlicher Übergang für mich.
Räumlichkeit ist genauso ein Teil der Musik wie Klangfarbe oder Melodie. Man kann musikalische Informationen in räumliche Strukturen einfügen und man kann mit Räumlichkeit Ideen vermitteln. Ich benutze sie als Ausdrucksmittel, nicht nur um Tricks zu machen.
Ich denke immer noch, dass es ein zu wenig genutztes Werkzeug ist, man kann viel mehr damit machen und es ist eine aufregende Zeit, Teil davon zu sein.

Kommt das Visuelle nach der Musik? Wenn Du visuelle Ideen hast – bittest Du dann andere Künstler, sie zu visualisieren?

Nein, ich bin mehr und mehr dazu übergegangen, dass die Visuals zuerst kommen. Ich habe schon erwähnt, dass ich mich im Moment mit vielen verschiedenen Leuten außerhalb der Musik über Ideen unterhalte. Was ich gerne mache, ist, dass ich zuerst viele visuelle Ideen und Geschichten entwickle und dann daraus entscheide, was die Musik sein soll. Die visuellen Ideen kommen oft vor der Musik. Nicht immer, aber ich mag es, auf diese Weise zu arbeiten. Obwohl ich ein Musiker bin, ist das Visuelle für mich in vielerlei Hinsicht grundlegender als die Musik. Ich denke über Musik in sehr visuellen Begriffen, Musik hat eine bestimmte Struktur und man kann sich ein Musikstück als eine strukturelle Einheit vorstellen.
Was ich für die letzten paar Alben gemacht habe, war, dass ich all diese verschiedenen Ideen in einem Dokument aufschreibe und sie an visuelle Künstler schicke, damit sie sie interpretieren. Und manchmal liefern sie sehr präzise und manchmal haben sie eine andere Art, es zu tun und es ist besser. Es gibt keinen einheitlichen Mechanismus, da ich mit sehr unterschiedlichen Leuten arbeite, aber ich beginne mit einer Menge visueller Ideen, um den Prozess zu fundieren.

Als ich Dich das erste Mal in Köln gesehen habe, gab es all diese visuellen Installationen an den Wänden. Ist das bei jeder Show so? Sind die Visuals und die Musik auf einer Tournee die gleichen?

Ich habe ein System entwickelt, bei dem ich das, was ich denke, dass es visuell funktioniert, dem zuordne, was ich denke, dass es mit der Musik funktioniert. Ich kollaboriere oft mit visuellen Künstlern. Sie versorgen mich mit all diesem Material, einer Menge Videoclips und verschiedenen Layern. Und dann habe ich meine Audio-Seite, wieder viele Audio-Clips, viele Layer, viele Effekte und Möglichkeiten, Dinge in Ableton neu zu kombinieren, und dann habe ich Resolume, das etwas Ähnliches für Video-Clips macht. Und ich habe viele, viele Mappings. Wenn ich also diese Frequenz an diesem Synthesizer einstelle, möchte ich, dass sich das Bildmaterial auf diese bestimmte Weise anpasst.
Der Versuch ist immer da visuell zu arbeiten und wann immer ich kann, mache ich das. Ich mache alle Visuals selbst. Ich habe ein System, das mit bis zu acht Projektoren arbeiten kann, und ich wähle aus, welche Visuals auf welche Flächen kommen. Im Grunde kann ich den ganzen Raum abdecken, wenn wir das Budget für viele Projektoren haben, was selten ist. Die meiste Zeit mache ich vielleicht drei. Es hängt immer vom Veranstaltungsort ab, sowohl musikalisch als auch was die Projektoren angeht. Und auch während der Show beobachte ich das Publikum, um zu sehen, was es mag und was nicht, und das ist von Land zu Land und von Veranstaltungsort zu Veranstaltungsort unterschiedlich. Ich muss in der Lage sein, zu interagieren und mein Set jeden Moment zu ändern um das zu liefern, was funktioniert. Ich war DJ, bevor ich Musikproduzent wurde, also habe ich immer noch das Ethos, mit den Leuten interagieren zu wollen und ihnen das zu geben, was sie wollen und ich will.

Bei der beeindruckenden Show in Köln mit all den Visuals, habe ich über Dolby Atmos nachgedacht. Ist das etwas, woran Du arbeitest? Wie siehst du die Zukunft von Dolby Atmos bei Live-Shows?

Das ist etwas, worüber ich mit Dolby ziemlich viel gesprochen habe. Ja, es gibt Clubs, die bereits Atmos-Systeme installiert haben. Leider haben die Clubs, die sie installiert haben, keine Möglichkeit, eine visuelle Show zu inszenieren. Es gibt weltweit nur etwa eine Handvoll Clubs, die ein Atmos-System haben. Jedenfalls war das so als ich mich zuletzt umgehört habe. Und bisher habe ich noch keine Kombination aus Atmos und einer visuellen Show finden können, aber das wird sicherlich irgendwann passieren, wenn mehr Clubs auf räumliche Systeme umsteigen. Ich hoffe, dass das passieren wird.
Einige andere Arten von Raumklang habe ich auch schon ausprobiert. Zum Beispiel habe ich mit einer hausgemachten Raumklang-Option im Berghain gespielt, mit nur sechs Kanälen. Also nicht objektbasiert, nicht besonders anspruchsvoll, aber in einer Clubumgebung ist es ganz nett, ein paar wirklich harte Punkte zu haben, um die großen Drum-Sounds aus verschiedenen Positionen zu bekommen. Das kann ziemlich effektiv sein.
Das ist etwas ganz anderes als die subtile Schönheit, die man mit einem vollständig objektbasierten Dolby-Atmos-System in einem schönen akustischen Raum erreichen kann. Ich habe also mit einigen clubbezogenen Surround-Sound-Shows experimentiert, aber ich habe es noch nicht geschafft, die visuellen Shows und das räumliche Audio miteinander zu verschmelzen. Im Grunde warte ich noch auf die Veranstaltungsorte. Und mit räumlichem Audio gibt es eine kleine Einschränkung bei der Größe der Shows, weil man eine Verzögerung bekommt. Wenn man also einen großen Raum hat, ist die Verzögerung von einer Seite zur anderen so groß, dass die Rhythmen durch die Abstände zwischen den verschiedenen Lautsprecherpunkten stark beeinflusst werden können. Das ist dann letztenendes auch eine Budget- und Konstruktionsfrage für die jeweilige Location.
Aber es bewegt sich in die richtige Richtung, es wird sicher passieren.

Wird Dein neues Album auch ein Dolby-Atmos-Produkt sein?

Das weiß ich noch nicht, das ist etwas, was ich noch nicht geklärt habe.
Mein Label heißt Mesh und sie haben ein Dolby-Atmos-Album, das von einem anderen Künstler kommt, und es wurde eigentlich noch nicht offiziell angekündigt, also ist dies die erste Nachricht davon. Es kommt ziemlich bald. Bestimmte Streaming-Dienste haben Dolby Atmos, ich glaube die höheren Tiers von Tidal und Amazon auch. Eigentlich hat es sehr lange gedauert, bis wir als unabhängiges Label das Vertriebssystem zur Verfügung hatten, um das zu machen. Es war bis vor kurzem nicht möglich, Dolby Atmos hochzuladen und digital zu vertreiben. Das Album ist von Reid Willis, er ist ein wirklich erstaunlicher Produzent und seine Sachen sind umwerfend. Es ist sehr cineastisch, erstaunlich druckvoll und präzise und wirklich ausdrucksstark und auch harmonisch sehr interessant. Seine Arbeit ist wirklich hochwertig und gut für dieses Format geeignet.
Im Moment ist nur die digitale Veröffentlichung geplant.

Viele Leute haben eine Heimkinoanlage zuhause und haben gerne das Produkt in der Hand. Was ist Deine Meinung als Künstler zu physischen Medien?

Ich kaufe 4k-Blu-rays mit Dolby Atmos, wenn ich einen Film wirklich liebe. Ich will das volle Erlebnis. Diese Qualität bekomme ich beim Streaming nicht.
Für mich persönlich geht es um High Fidelity und ich verbringe so viel Zeit damit, an all diesen winzigen Details zu arbeiten, die man nicht hört, wenn man kein gutes High Fidelity-System hat.
Ich liebe diese Seite der Dinge, sie vereinnahmt mich total und fesselt mich, und deshalb arbeite ich auch immer weiter daran. Aber ich schreibe meine Musik auch so, dass sie auf einer Club-Anlage funktioniert oder auf einem iPhone-Lautsprecher gut klingt. Die Art und Weise, wie ich Musik mische, hat einen wirklich einfachen Kern. Eine Kickdrum und eine Baseline vielleicht und ein einfaches Synth-Element. Das ist ziemlich sauber und kommt auf jedem System gut rüber, und darauf baue ich dann mehr und mehr Schichten auf. Ich versuche, das ganze Spektrum zu optimieren. Ich will nicht, dass meine Musik nur für Leute zugänglich ist, die das ganze Zeug haben.
Je besser das System ist, auf dem man hört, desto mehr findet man darin. Je genauer man hinschaut, desto mehr findet man – ein bisschen wie bei einem Bild von Jackson Pollock. Ich liebe diese Art von fraktaler Struktur, denn so ist die Natur strukturiert und ich liebe das auch für die Musik.

Wenn Du hochwertige Musik hörst, ist das in Deinem Studio oder hast Du auch einen Raum zu Hause?

Der beste Ort, um Musik zu hören, ist sicherlich in meinem Studio.
Ich habe ein sehr einfaches Dolby-Atmos-System in meinem Wohnzimmer. Eine Soundbar mit zwei Satelliten-Boxen, die den Ton auch an die Decke werfen. Aber was die Klangqualität angeht, ist es natürlich kein Vergleich zu richtigen Studiomonitoren oder einer wirklich hochwertigen Kinoausstattung.

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