Fritz Hilpert im Interview

Die Band Kraftwerk steht seit jeher für Innovation. Mit ihren Alben Autobahn, Trans Europa Express, Die Mensch-Maschine und Computerwelt revolutionierten die Musikwelt und legten den Grundstein für moderne elektronische Musik. Ende Januar 2018 gewannen Kraftwerk mit dem Livealbum 3-D Der Katalog den Grammy im Bereich „Bestes Dance/Electro-Album“, das als erstes Kraftwerk-Album in Dolby Atmos erschien. Wir haben uns mit Fritz Hilpert über die Produktion dieser Platte unterhalten und darüber was Dolby Atmos generell für elektronische Musik bedeutet.

Sie waren bei den Grammies als 3D Surround Mix Engineer auch in der Kategorie „Bestes Surround-Sound-Album“ nominiert, dabei war 3-D Der Katalog das erste Kraftwerk-Album überhaupt, welches in dreidimensionalem Dolby Atmos gemischt wurde. Ist dieser Sound für die Mensch-Maschine Kraftwerk als Pioniere elektronischer Musik wie gemacht?

Natürlich ist die elektronische Musik sehr geeignet, sie auf einem Mehrkanal-Lautsprechersystem wie Dolby Atmos abzubilden, als Projektion individueller Sounds auf eine virtuelle Klangkuppel. Obwohl diese Systeme primär entwickelt wurden, um die Illusion eines Konzertsaales zu erzeugen, oder eine Filmszene akustisch analog darzustellen bieten sie für den Elektronik-Produzenten eine ganz neue kreative Ebene.
Schon in den Fünziger Jahren wurde im Kölner „Studio für Elektronische Musik“ mit verschieden angeordneten Lautsprechern experimentiert.

„Diese Systeme bieten für Elektronik-Produzenten eine ganz neue kreative Ebene“

Wie war der Prozess Kraftwerk zum ersten Mal immersiv zu mischen? Hatten Sie schon Vorerfahrungen?

Wir hatten zuvor bereits das als DVD und SA-CD erschienene Live-Album Minimum Maximum in 5.1 gemischt.
Dabei wurde noch das Prinzip der Wiedergabe eines Live-Konzerts verfolgt. Mit Raummikrophonen wurden die Akustik der Halle und die Reaktionen des Publikums aufgenommen und in den Surround-Mix einbezogen. Seit jeher versuchen wir auch bei den Konzerten zumindest ein Quadrosystem zu installieren.
Das heutige Soundscape-System (d&b audiotechnik), mit gleichsam unbegrenzter Kanalanzahl, bietet alle Möglichkeiten der multidirektionalen Beschallung.

„Die 3. Dimension, also die Einführung der Höhenlautsprecher spielt dabei eine wesentliche Rolle, als würde hier auch eine dritte emotionale Ebene eingeführt.“

Dolby Atmos kennen die meisten aus dem Kino. In der Musik kommen die meisten Dolby Atmos-Produktionen aus dem Bereich Klassik und Jazz, dabei dürfte gerade elektronische Musik den neuen Möglichkeiten die Dolby Atmos bietet doch besonders dankbar sein?

Immersive Audio war 2016, zu Beginn der Produktion, noch ziemlich frisch und kämpft auch heute darum, sich auf dem Musikmarkt zu verbreiten. Phänomene wie das Vinyl-Revival machen es nicht leichter.
Zuhilfe kommt allerdings der Heimkinosektor und die Tatsache, dass viele Filme in Dolby Atmos produziert werden. Das bringt mit der wachsenden Zahl an Atmos Soundbars schonmal die Technik ins Haus, über die man dann auch immersiv Musik hören kann.
Bei der Produktion von 3-D DER KATALOG wurde gänzlich auf die Nachbildung des Konzertsaals und auf jegliche Ambience verzichtet. Löst man sich einmal von der Vorgabe der Abbildung einer realen Situation tut sich ein ganz neuer Horizont auf, der dem Hörerlebnis Musik einen echten Mehrwert verleiht.
Die 3. Dimension, also die Einführung der Höhenlautsprecher spielt dabei eine wesentliche Rolle, als würde hier auch eine dritte emotionale Ebene eingeführt.
Somit ist diese Blu-ray als ein reines Studioalbum zu betrachten, allerdings unter Benutzung von Original- und Live-Tracks, um sowohl die Magie der Liveperformance zu erhalten, als auch die höchste Soundqualität.

„Stimmen bekommen eine besondere Nähe, wenn man sie etwas in den Raum zieht und sie so von mehreren Lautsprechern anteilsmäßig wiedergegeben werden.“

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Können die ganzen neuen Möglichkeiten und Wege, den Ton zu manipulieren, und die Freiheit, ihn überall im Raum zu positionieren zu können auch überfordern?
Besteht die Gefahr der Effekthascherei?

Durchaus, viele Möglichkeiten wollen einerseits genutzt werden, andererseits können sie sich auch sehr schnell als sinnlose Spielerei entlarven. Deshalb muss zunächst die Musik in der Vorstellung in ein grafisches dreidimensionales Konstrukt verwandelt werden.
Meist werden dabei hohe Frequenzbereiche auch in der Höhe verortet während schwere Bässe in der Basis bleiben oder sogar in den LFE-Kanal (Subwoofer) rutschen. Synthetic Sounds in Form von Soundflächen werden im Surround-Bereich voneinander separiert oder gegenübergestellt, um eine Umhüllung zu erreichen. Dies geschieht oft mit Unterstützung von Reverb- oder Delay-Effekten.
Stimmen bekommen eine besondere Nähe, wenn man sie etwas in den Raum zieht und sie so von mehreren Lautsprechern anteilsmäßig wiedergegeben werden. Additive Stimmen dürfen auch mal aus einer entfernten Ecke oder von oben kommen.
Mut zur Phantasie ist durchaus gefragt. Das gilt allerdings nur bedingt, wenn es um Bewegungen geht. Hier muss sehr bewusst vorgegangen werden. Das heißt, man sollte schon einen Plan haben, was sich warum wohin bewegt.

Schon sehr subtile langsame Bewegungen eines Klangs in Richtung des Hörers können interessant sein, was speziell in der binauralen Wiedergabe sehr gut funktioniert.
3-D DER KATALOG fordert der 3D-Konzertfilm natürlich die analogen akustischen Bewegungen bei „Autobahn“ oder „Trans Europa Express“ ein. Auch ein heftiger Raumflug wie bei „Spacelab“ ist dann erlaubt und bestätigt dem Hörer endgültig in seinem Entschluss, ein Atmos-System installiert zu haben.
Wie in der Realität schafft der 3D Film den Weg maximal bis zum Auge, der Sound setzt sich nach hinten fort. Aber es gibt auch viel Raum für eben diese abstrakte kreative Positionierungs-Freiheit.

Sie sind ebenfalls verantwortlich für den Dolby Atmos-Mix des neuen Booka Shade-Albums Dear Future Self. Genau wie 3-D Der Katalog lässt sich dieses Album im Bereich elektronischer Musik verorten. Wo sind da die Gemeinsamkeiten im Produktionsprozess und was unterscheidet sich?

Da es sich in beiden Fällen um rein elektronische Musik handelt, liegen die Gemeinsamkeiten auf der Hand. Allerdings spielt die Korrelation zum Bild  beim Booka Shade-Album keine Rolle, da es sich um eine Pure Audio Blu-ray handelt, wie auch schon beim 2018 erschienen Album Galvany  Street. Auch hier gibt es drei Tonspuren im Stereo,  Atmos und Binaural.
Während 3-D DER KATALOG aber viele musikalische Facetten bietet, ist Dear Future Self ein eindeutig Dancefloor-orientiertes Werk, gespickt mit sehr schönen Elektropop-Songs, wie z.b. Polar Lights oder I GO, I GO.
Ein visuelles Modell für die Gestaltung der Mischung gibt es dennoch. Durch die konsequente Verteilung von Rhythmuselementen und Keyboards in alle Richtungen fühlt man sich umhüllt vom Sound; wie auf einer Tanzfläche, um die herum sich mehrere DJs „battlen“. Dazu treten Vokalisten wie akustische Hologramme in den Raum.
Dear Future Self ist somit ein mutiger Ansatz weg vom mono maximal Druck zu einem dynamisch transparenten Clubsound. Ich würde mir wünschen, Musik tatsächlich so in einem Club zu erleben.

„Ich würde mir wünschen, Musik tatsächlich so in einem Club zu erleben.“

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