Interview: Till Brönner über sein sehr intimes Weihnachtsalbum „Christmas“

Langsam öffnen sich die ersten Weihnachtsmärkte, draußen wird es kalt, die Nächte wieder länger. Nach zwei Jahren pandemiebedingter Einschränkungen ist die Vorweihnachtszeit wieder etwas gewohnter, als in den vergangenen Jahren.

Till Brönners sehr intimes Weihnachtsalbum „Christmas“ ist mitten in dieser sehr Pandemiezeit entstanden und vermittelt in seinem Atmos-Mix eine etwas andere, zurückhaltendere Weihnachtstimmung. Wir sprachen im vergangenen Jahr mit ihm über das Album, den Einfluss der Pandemie und die Dolby Atmos Mischung des Albums. Das Interview führte Christoph Diekmann.

 

Wir wollen heute über „Christmas“, eine wunderschöne Produktion mit Weihnachtsliedern, Coverversionen und amerikanischen Evergreens sprechen. Das Ganze ist ja sehr „covermusikalisch“ produziert, du mit Trompete und Flügelhorn und dann Piano und Bass dabei. Ich finde persönlich, es ist eine sehr intime Produktion und die Zeit, in der es entstanden ist, war aufregend und mit vielen anderen Maßnahmen belegt. Wie ist es zu dieser Produktion gekommen? Was war der Ursprungsgedanke?

Ich hatte ja die Chance und Ehre, vor einigen Jahren schon mal ein Weihnachtsalbum zu machen. Das war, wenn man so möchte, tatsächlich ein klassisches Weihnachtsalbum. Wenig von dem, was auf diesem aktuellen Album zu hören ist, dafür ganz viel Lametta, ganz viel Glöckchen und Schneeflocken, die sozusagen von allen Wänden herunterpurzelten. Das ist auch richtig so und gerade deswegen kam mir in den Sinn, vielleicht diesmal ein alternatives Weihnachtsalbum zu präsentieren. Eins, dass ein bisschen mehr in die Zeit passt. Denn eines war mir immer klar, unabhängig davon, ob wir die Pandemie jetzt besiegt haben werden, Weihnachten ist für die Menschen ein ganz, ganz wichtiges Fest.

Auch, wenn wir uns jetzt ein bisschen an die Situation gewöhnt haben, dachte ich mit der Prognose eigentlich ganz richtigzuliegen, dass das erste Fest, das wir als solches wieder zelebrieren, aber auch besinnlicher und etwas bescheidener feiern, das Weihnachtsfest 2021/22 ist. Und so sollte dann auch die Musik klingen. Ich denke, in gewisser Weise lag ich dort auf etwas melancholische Art und Weise im Trend, mit dem, was auf dem Album zu hören ist.

Deine Mitstreiter, Frank Chastenier am Piano und Christian von Kaphengst am Bass, sind ja langjährige Wegbegleiter von dir. Ich spüre so eine gewisse Zärtlichkeit in der Interpretation dieser Liedauswahl. Wie würdest du die Zusammenarbeit oder das Zusammenspiel mit den beiden beschreiben?

Das hast du richtig erkannt. Ich bin froh, dass man das vielleicht auch hört, denn das war auch ein bisschen das Ziel. Die Beschränkung auf das Wesentlichste und die Suche nach meiner eigenen Person, meiner Kindheit, die mündete irgendwann ganz automatisch in der Auswahl der Musiker. Denn Christian von Kaphengst und Frank Chastenier sind sicherlich die Musiker, mit denen ich am längsten zusammengespielt habe in meinem Leben. Wir kennen uns wie unsere Westentasche und spüren, was auf der anderen Seite passiert.

Mir war es wichtig, in dieser sehr überschaubaren und intimen kammermusikalischen Besetzung natürlich auch auf Musiker und Persönlichkeiten zurückzugreifen, die in der Lage sein werden, diese Intimität auch widerzuspiegeln. Das ist eine große Vertrauensangelegenheit, nur durch Scheiben getrennt im selben Raum aufzunehmen. Aus der Sicht vieler Produzenten ist das ja oldschool, aber für uns war das in diesem Fall das absolute Muss.

Ich bin total happy, dass wir nach fünf Tagen, ohne dass wir wussten, was wir aufnehmen werden, mit einer klassischen Produktion das Studio verlassen konnten. Es hat zwar viel Blut, Schweiß und Tränen, aber eben auch sehr viel Spontanes zuwege gebracht. Rückblickend ist es so, dass wir uns sicherlich bei den meisten Takes immer wieder für den allerersten Take von zwei, maximal drei entschieden haben, weil es einfach ganz gut funktioniert hat. Ich bin deswegen auch sehr happy mit dem Ergebnis.

 

Wie ist die Auswahl der Lieder zustande gekommen? Ist das gemeinsam entstanden oder kam das von dir?

Wenn ich mir heute die Tracklist angucke, dann stelle ich fest, dass sie mit meiner ganz persönlichen Jugend und Kindheit eine ganze Menge zu tun hat. Es ist sicherlich die Kombination aus meiner Liebe zum Jazz auf der einen Seite, zum Great American Songbook und zum American Christmas Feeling, das sich eigentlich eher über Santa Claus und Schlittenfahren und viele Filme speist, auf der anderen Seite.

Dann ist da noch das christliche, europäische Weihnachten, das sich für mich auch ganz stark aus Kirchenliedgut speist. Mit „Maria durch ein Dornwald ging“ und „Ich steh an deiner Krippen hier“ von Johann Sebastian Bach sind Stücke mit dabei, die ich aus der Kirche kenne und teilweise selber gespielt habe.

Und die dritte Gattung sind Songs, die in Filmen zu sehen sind und waren, die in Deutschland zu meiner Jugend immer zwischen den Jahren im Fernsehen liefen. Aus dem Film „Wenn der Vater mit dem Sohne“ ist „La Le Lu“, das Schlaflied, ganz am Ende noch mit drauf gelandet. Dann ist da noch „Jesus to a Child“ von George Michael, der das erfolgreichste Weihnachtslied der ganzen Welt „Last Christmas“ geschrieben hat und Christian von Kaphengsts Idee war, ob man nicht vielleicht ein zweites Mal bei George Michael fündig werden könnte. Und last but not least Max Mutzke als prominenter Gesangsgast mit „Christmas Time Is Here“ auf unserem Album – da freue ich mich sehr drüber.

Da wollte ich nochmal drauf zurückkommen. Max Mutzke, ein Song mit Gesang, der Rest rein instrumental. Wie kam Max dazu, wie ist das entstanden?

Als ich den Song in die engere Auswahl nahm, habe ich die Demo zunächst selber gesungen. Unsere bisherige Reise im Studio war sehr stark damit verbunden, dass wir uns auf das Wesentliche beschränken. Dadurch wird natürlich auch die Exponiertheit jedes einzelnen Elements viel, viel deutlicher und spürbarer. In dem Augenblick habe ich schlichtweg festgestellt, dass die Beschränkung auf das Wesentliche von Till Brönner ja wirklich auch die Trompete solo und nicht noch mein gelegentliches Singen ist –  was ich sehr genieße und was sicherlich auch sehr persönlich ist. Aber ich dachte: Mensch, ehrlich gesagt muss da jemand singen, der das hauptberuflich macht. Da sind wir bei Max auf jeden Fall an der richtigen Adresse gewesen und der hatte sofort Lust und ich bin happy, dass er mit von der Partie war.

Habt ihr vorher schon mal zusammengearbeitet?

elegentlich war es uns möglich schon mal bei Nils Landgren oder bei Torsten Gutz im Süden Deutschlands live zusammen zu spielen. Wir kennen uns aber schon sehr lange, nicht zuletzt über Stefan Raab und verehren uns sehr. Max kommt aus einer extrem musikalischen Familie und sein Bruder Wenzel ist ein unfassbar guter Trompeter, einer der besten, die wir in Europa haben. Es ist einfach eine Musikconnection und -familie, die auch, ohne dass man blutsverwandt ist, sich so anfühlt.

Ihr habt das Album in den Teldex Studios in Berlin aufgenommen und Arne Schumann hat wieder für einen super Klang gesorgt – 24/96 Bit, und ich durfte kurz dabei sein, als Arne mischen war und etwas reinhören. Diese Atmos-Version, die unser Schwerpunkt bei dem ganzen Thema ist, wie ist das an dich herangetragen worden? Was ist deine Beziehung dazu? Gab es vorher schon Gedanken dazu, das auch so zu produzieren?

Zunächst eine kleine Korrektur: Wir haben es in den Hansa Studios aufgenommen, sozusagen zwei Stockwerke über Emil Berliner und das war für mich deswegen auch eine emotionale Angelegenheit, weil ich meine allererste CD Anfang der 90er Jahre mit Ray Brown am Bass noch in diesem Studio produzieren durfte. Das war damals schon eine sehr große Nummer für mich: Erste Platte und gleich da, wo David Bowie und U2 waren und dann noch mit Ray Brown, mit dem ich zusammen im Aufzug gestanden habe. Wir sind nicht stecken geblieben – Gott sei Dank –, aber es hätte mir auch nichts ausgemacht, die nächsten zwei Wochen mit Ray Brown auf engstem Raum zu sitzen. Ich war also total chloroformiert. Dahin zurückzukommen, war ein schönes Gefühl. 

Klanglich und was das Zelebrieren von Qualität und von Frequenzen und von Erlebbarkeit angeht, hat es mich in den letzten Jahren immer interessiert, wenn so etwas an mich herangetragen wurde. Ich habe es eigentlich nur für eine Frage der Zeit gehalten, dass tatsächlich wieder ein Format im Begriff ist, sich wieder bemerkbar zu machen. Ein Format, das die Qualität und die Auflösung und auch das Spektrum in der Musik wieder zum Chefthema macht. Ich erinnere mich sehr gut, als wir damals 5.1 Mischungen und die SA-CD, die sich leider nicht so durchsetzen konnte, in Augenschein genommen und tatsächlich auch mindestens zwei Alben in diesem Format gemixt haben. Das ist heute eine Rarität, aber das Erlebnis, tatsächlich mehrere Kanäle und ein größeres Spektrum beim Mischen der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können, das ist etwas, das mich immer wieder aufs Neue fasziniert.

Wie war das, als du das erste Mal Atmos gehört hast, bei dieser Produktion? Du warst bei der Mischung ja wahrscheinlich mit dabei oder hast zwischendurch reingehört. Hat das den Raum wiedergegeben, in dem ihr gestanden habt? Das ist ja auch die Idee dabei, eine Luftigkeit und eine Weichheit wiederzugeben.

Ich glaube, es ist sehr richtig und wichtig von dem Gefühl auszugehen, dass man selber beim Spielen hat. Wir Künstler sind immer ein bisschen verwöhnt, weil der Klang eines Orchesters und das, was um einen herum passiert, natürlich im Nahbereich des Gelernten ist. Die wenigsten Menschen da draußen haben diese Erfahrung gemacht, die ich ihnen aber sehr wünsche.

Deswegen ist jedes Format, das unkompliziert zugänglich ist – in diesem Fall bei Atmos auf jeden Fall zutreffend –, etwas, was ich auch unterstütze. Ich vergleiche das manchmal ein bisschen mit der Art, wie wir aufnehmen. Wir nehmen nicht selten tatsächlich auch mit Mikrofonen auf, die an vermeintlich unscheinbaren Orten noch mit dazugelegt werden, damit wir am Ende den Raum an sich – ähnlich wie man früher mit Hallgeräten gearbeitet hat – noch mit dazu fahren können. Es ist ein sehr, sehr schönes Erlebnis, das in dem Falle durch Atmos ein wenig erlebbarer wird.

Für mich stehen wir sehr am Anfang beim Thema „räumliches Hören“ und ich hoffe, es wird sich einspielen in die Konzeption von Produktionen, theoretisch auch Kompositionen: Wie gehe ich mit so einem Raum um? Wo kann ich was positionieren? Man geht ja ganz anders an Musik heran, wenn man die Möglichkeit hat, mit solchen Objekten oder Dingen, die um einen herum passieren, zu arbeiten und nicht am Ende sage ich mal eine Stereo, Klangbild links-rechts, vor sich zu haben, sondern wirklich um einen herum auch Dinge zu positionieren. Ist das etwas, was du in der Zukunft  für dich als künstlerische Möglichkeit siehst im Bereich Produktion oder auch Konzeption oder Komposition, mit diesem Raum zu arbeiten?

Also meine Gedanken waren eigentlich spontan die, dass ich so wie alle Musiker, die weltweit in Studios aufnehmen, damit rechnen muss, dass sich auf der sogenannten Endverbraucherseite so etwas wie ein Interesse dafür regen muss. Wenn wir am Ende keine Geräte haben, die das abspielen können, das war damals so ein bisschen das Problem bei der SA-CD, dann würde es, glaube ich, sehr schwierig werden, war immer mein Gedanke. Aber in diesem Falle ist es ja etwas einfacher durch Atmos geworden und ich glaube, dass sich vielleicht auch auf dem Live-Sektor früher oder später mal die Frage stellen wird, ob ein Erlebnis nicht tatsächlich durch zusätzliche Achsen, vor allen Dingen akustische Achsen, noch ein bisschen mehr in die Hirnrinde der Menschen eindringt, als das bis dato der Fall ist. Wir erleben ja jetzt schon Hologrammtechniken und viele, viele Neuerungen.

Ich glaube, genau in diesem Zusammenhang müsste man jetzt auch prüfen, wie ein Live-Klangerlebnis auf diese Art und Weise entstehen könnte. Das wäre so mein Gedanke, unabhängig davon, dass die Frage aufkommt: Können wir eigentlich in Zukunft ohne zusätzliche Lautsprecher in Wohnungen und Heimen etwas erreichen in der Hinsicht. Das interessiert mich sehr.

Ich glaube, da ist noch viel Luft nach oben, was sich da entwickeln wird. Wir sehen gerade, was da mit binauralem Stereo auf Kopfhörern passiert, es geht mit entsprechenden Lautsprechern ins Auto hinein, da ist schon ein Weg beschritten. Es wird sicher nicht das passieren, was mit der SA-CD passiert ist, weil wir ein Format haben, das etabliert ist. Durch die Filmindustrie wurde der Wunsch nach Mehrkanalton bereits erzeugt und entsprechend ist Hardware schon in vielen Haushalten installiert.

Absolut.

Gibt es noch etwas zum Album, was du den Hörern gerne mit auf den Weg geben möchtest?

Durchaus. Wenngleich ich immer das Gefühl habe, dass Musik ohne Erklärungen und ohne Worte auskommen muss, sonst ist sie vielleicht etwas deplatziert oder sogar unnötig. Aber das Persönliche an diesem Album, das ist mir immer wichtig. Es ist ein Weihnachten, von dem ich glaube, dass es viel besinnlicher ausfallen wird und deswegen ist das dieser Soundtrack dazu. Es ist dieses Gefühl: Ja, wir müssen enger zusammenrücken, aber vor allen Dingen in reduzierter Zahl. Wir müssen ein bisschen demütiger sein, um vielleicht die Wahrheit zu erkennen. Das hat auch extrem positive Aspekte und so klingt dieses Album. Es zelebriert das Kammermusikalische und es ist vielleicht das Album, was Mama und Papa mit einem guten Glas Wein zusammen anhören, wenn die Kinder schon im Bett sind. Das wäre mir eine Freude.

Ich denke, das wird so auch passieren. Zum Schluss: Wie hörst du Zuhause Musik? Stereo oder auch Mehrkanal?

Zuhause höre ich tatsächlich, wenn es hochkommt, Stereo. Das liegt einfach daran, dass die Realität letztlich vor allem auch bei uns, in der Art, wie wir Musik produzieren, für mich seit Jahren Einzug gehalten hat. Wir müssen auf dem am schlechtesten klingenden Device am Ende des Tages den Effekt erzielen können. Und wenn es dort klingend rüberkommt, dann liegen wir im Zweifelsfall auch bei sehr, sehr teuren Apparaturen und Konstellationen sehr richtig.

Dennoch ist der Moment für mich im Tonstudio – wirklich zu spüren, worum es geht, nachzuspüren und Details zu hören, speziell, wenn ich mit Arne Schumann arbeite, der so was Ähnliches wie meine DNA und umgedreht ist im Tonstudio – einer, den ich immer noch auf seine Aktualität hin prüfe. Es macht mir immer noch wahnsinnig viel Spaß und manchmal habe ich das Gefühl, dass mir vielleicht sogar ein wenig das Verständnis und die Sensibilität abhandenzukommen droht und wenn ich dann im Studio mit Arne arbeite, merke ich, ich hab’s noch, es interessiert mich noch, ich habe noch keine kaputten Ohren.

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